Kommunikation aus Sicht eines *1941 geborenen
Früher war bekanntlich alles besser. Diesen Spruch kennt und langweilt jede Generation. Folgender Brief erreichte mich vor einigen Wochen und hat mich doch zum Nachdenken gebracht. Vielleicht weil der Verfasser nicht mit erhobenem Zeigefinger agiert hat? Vielleicht weil er irgendwie schon Recht hat mit dem was er schreibt? Ich gehöre einer Generation an, die sowohl das Früher als auch das Heute kennt. Aber lest selbst:
Brief vom 1. August 2017
Liebe Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder!
Die Ferien- und damit die Reisezeit beginnt in wenigen Tagen bzw. hat schon begonnen. Während meiner Kur habe ich – wie immer – über vieles nachgedacht und möchte Euch an meinen Gedanken teilhaben lassen.
Ach wie schön war es doch, als ich noch Postkarten erhielt, mit den Zeilen wie: „Die Sonne scheint den ganzen Tag“ oder „Das Wetter und das Wasser passt“ oder „Toller Schnee“. Das waren noch Zeiten, als glänzende Strand- Berg- und Stadtaussichten mit halbwegs dazu passenden Texten mich über das Wohlergehen von Freunden und Verwandten in der Ferne informierten.
Leider ist das vorbei. Mittlerweile überfluten E-Mails aus dem Urlaub den Empfänger. Und sie sind langweilig. Vor allem, wenn der E-Mail-Schreiber immer wieder betont, wie „cool“ es doch sei, auf die herkömmlichen Ansichtskarten zu verzichten. Besonders fad, aber beliebt: Digitale Fotos, aufgenommen direkt am Flughafen. Kein Strand, keine Palmen, keine weißen Gipfel sind zu sehen. Nur jede Menge über- oder unterbelichtete Urlauber, die immer in die Kamera grinsen. Wie öde!
Ich möchte wieder kitschige Ansichtskarten bekommen! Möchte das Gefühl haben, dass sich der Absender Mühe gibt. Eine Postkarte und eine Briefmarke kauft, einen halbwegs intelligenten Text formuliert und einen Briefkasten sucht.
Verlange ich zuviel?
Was haltet Ihr eigentlich davon, mit gutem Beispiel voranzugehen und eine Postkarte zu versenden? Vielleicht schon morgen oder aus dem nächsten Urlaub?
Ganz liebe Grüße
Euer Papa und Opa
PS: Mir ist vollkommen klar, dass ich den Fortschritt nicht aufhalten kann und das will ich auch nicht. Nur ab und zu trauere den alten Gebräuchen aus der Vergangenheit ein wenig nach …
12. August 2017
Ich kaufe bei einem Stadtbummel einige Postkarten und demonstriere schon mal meine gute Absicht (mir selbst gegenüber).
17. August 2017
Ich fahre nach der Arbeit zum Postamt und stelle mich eine Viertelstunde in die Schlange, um einen ganzen Bogen 45 Cent-Marken zu kaufen.
21. August 2017
Ich bekomme eine Postkarte von meinem Bruder. Die Erste in meinem Leben, glaube ich.
25. August 2017
Ich bekomme eine Postkarte aus Italien von einem liebenswerten Kollegen (der von dem Aufruf nichts wusste).
4. September 2017
Ich verschicke meine erste Ansichtskarte und lade meinen Vater zu einem Treffen ein.
10. September 2017
Wir sprechen über seinen Briefaufruf und was er bisher schon alles bewirkt hat. Ich entschließe mich, seinen Brief in meinem Blog zu veröffentlichen (habe ihn natürlich vorher um Erlaubnis gefragt).
12. September 2017
Ich habe meinen Blogbeitrag fertiggestellt und und schicke meinem Vater heute noch eine Postkarte, auf der steht: „Wer braucht schon Superhelden, ich hab Papa“ (die auch morgen noch in seinem Briefkasten eine Überraschung darstellen wird, denn er hat kein Internet;-)).
Foto: © privat