Treue und Untreue – Stärke oder Schwäche?
In vielen Trauungsreden heißt es: »… einander Liebe und Treue zu erweisen … bis dass der Tod euch scheidet …«. Was genau bedeutet das – grundsätzlich und für die jeweiligen Paare und Partner? Inwieweit haben sie sich vor ihrer Entscheidung zu heiraten Gedanken über die Bedeutung dieser Worte gemacht, und bei wie vielen der Partner ist diese Bedeutung auch dieselbe?
Treue in der Partnerschaft beinhaltet Ausschließlichkeit
Das Wort »Treue« wird oft in einen Zusammenhang mit Partnerschaft oder Ehe gebracht. Symbole für feste Partnerschaften oder Ehen sind meist Ringe. In München, wo das traditionelle Dirndl zu Hause ist, wird anhand der Dirndlschürze symbolisiert, wie der Beziehungsstatus der Trägerin ist. Sitzt die Schleife links, bedeutet das: »Ich bin noch zu haben«, sitzt sie rechts, heißt es: »Ich bin bereits vergeben«. Offensichtlich gibt es Menschen, für die solche Symbole Klarheit schaffen – entweder als ermutigendes grünes Licht oder als respektvoll bremsendes rotes Licht.
Im alltäglichen Sprachgebrauch ist mit »Treue« auch eine Ausschließlichkeit verbunden, etwas Absolutes. Das impliziert bereits, dass man in einer Partnerschaft oder Ehe nur einer Person gegenüber treu sein kann. Freundschaften hingegen sind nicht an diese Ausschließlichkeit gebunden, da hier mit Treue eher Loyalität gegenüber dem Freund gemeint ist. Zwar ist Loyalität ein ebenso wichtiger Bestandteil von Partnerschaften, dennoch wird der körperlichen, sexuellen Treue letztlich doch immer die größere Bedeutung beigemessen.
Untreue – oft pauschal abgeurteilt
Je mehr ich mit Paaren zu diesem Thema arbeite, umso differenzierter, respektvoller und interessierter begegne ich dem Phänomen der Untreue. Dabei fällt mir zunehmend auf, wie pauschal und klischeehaft der Großteil der Gesellschaft diesem klassischen Paardrama gegenübersteht.
Wie verschieden kann uns die Untreue begegnen, wenn wir uns nur einmal fragen, wem gegenüber wir in unseren Handlungen in erster Linie verantwortlich sind. An welchem »Ursprungszustand« messen wir Treue? Und wie verantwortlich sind Partner einander im Hinblick auf ihre eigenen Absprachen und Abmachungen, also ihren »Ursprungskontrakt«? Dabei geht es keinesfalls darum, in »sportlicher« oder gar leichtfertiger Weise Alibis für Fremdgeher zu finden, sondern sich der reellen Komplexität des Themas bewusst zu werden und sich somit von hartnäckigen Klischees und Vorurteilen zu befreien.
Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen von Treue und Untreue, die sich im Laufe des Lebens möglicherweise (und hoffentlich) auch verändern. Menschliche Reife, Erfahrungen sowie Moral- und Wertvorstellungen tragen dazu bei. Ob Treue ausschließlich eine Stärke ist und Untreue immer eine Schwäche sein muss, kann man nicht pauschalisieren. Woran orientiert man sich bei der Bewertung? Am Äußeren, am Inneren oder an beidem?
Ist Treue eine Stärke oder Schwäche?
Verfalle ich der Untreue nur deswegen nicht, weil ich keine Möglichkeiten dazu habe? Bleibe ich also nur mangels Gelegenheiten treu? Kann man dann von wirklicher Stärke sprechen? Oder habe ich äußere Gelegenheiten, aber nutze sie bewusst nicht? Wie stark ist dann die Stärke? Wie viel Stärke gehört dazu, nicht schwach zu werden? Wenn ich der Untreue verfalle, bin ich dann automatisch schwach?
Wann ist ein Mensch überhaupt stark, und wann ist er schwach? Wie viel Schwäche und wie viel Stärke sind gut und notwendig? Ich denke es lohnt sich, darüber nachzudenken, um eine eigene Haltung zu erlangen. Früher oder später sind doch alle in irgendeiner Form davon betroffen.
Höchste Form der Treue ist Wahrhaftigkeit
Die Philosophin Hannah Arendt sagte einmal, dass das Einzige, was uns abverlangt würde, die Treue zur Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit sei. Auch persönlich war ihr das Thema Treue nicht ganz fremd. Sie kam mit 18 Jahren nach Marburg an die Universität, um dort bei Martin Heidegger, dem großen Philosophen, das Denken zu erlernen. Er war Mitte Dreißig, verheiratet und hatte zwei kleine Kinder, als sie sich maßlos ineinander verliebten, was deshalb geheim gehalten werden musste. Um sein Hauptwerk »Sein und Zeit« auf Drängen der Universität zu publizieren, zog er sich in den Schwarzwald zurück und beendete von einem Tag auf den anderen die Beziehung mit Hannah, indem er sie einfach wie Luft behandelte. Das nicht ausdrückliche Beenden hatte für sie etwas Traumatisches, sie zog daraufhin in eine andere Stadt. Er schrieb ihr viele Briefe, und sie hatte das Gefühl, dass ihre Beziehung vielleicht nie Wirklichkeit gewesen war – ein häufiges Problem bei heimlichen Beziehungen. Hannah war inzwischen in den USA eine große Denkerin geworden, hatte aber bis zu ihrem Lebensende losen Kontakt mit Martin Heidegger. Sie kannte ihn und seine Abgründigkeit wie sonst niemand und konnte ihn nehmen, wie er war. Sie hat nie verhehlt, ihr Herz an ihn verloren zu haben; er bezeichnete sie bis zum Schluss als »Passion seines Lebens«.
Hannah Arendt hielt übrigens ihr ganzes Leben an der Wirklichkeit ihrer Liebe zu Martin Heidegger fest. Für sie gehörte Treue zur Wirklichkeit des menschlichen Lebens.
Fazit
In Partnerschaften gilt doch vielmehr die Treue in der Bedeutung, die sie für die jeweiligen Partner hat. Je bewusster und klarer Treue als ein »Bekenntnis« abgelegt wurde, desto berechtigter wird man den »Bekenner« beim Wort nehmen dürfen und bei einem Treuebruch entsprechend zur Verantwortung ziehen können. Wo Untreue beginnt und Treue aufhört, muss jeder Einzelne für sich beziehungsweise auch jedes Paar für die eigene Partnerschaft letztendlich selbst bestimmen.
Hier geht´s weiter zum Thema: Verschiedene Formen der Treue
Foto: © Monika Preisel (Zypern)