Wenn der Partner Sex braucht
Partner fordern sich heraus. Immer. Manchmal so sehr, so lange und so schmerzhaft, bis es entweder zu einer Trennung kommt (kurzer Weg) oder zu einem gemeinsamen Entwicklungsschritt und Wachstum (langer Weg). Je nachdem, ob die Beziehung auf Dauer angelegt ist.
Ein wichtiger Bestandteil von Liebesbeziehungen ist zweifellos die Sexualität und genau hier zeigen sich die Dinge besonders deutlich. Sex ist ein wunderbarer und glasklarer Spiegel in Partnerschaften.
Wenn einer braucht
Ich lege großen Wert auf die Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Bedürftigkeit. Der Unterschied ist die Haltung, mit der man an andere Menschen herantritt. Geht es um ein Bedürfnis, was nicht erfüllt wird, dann kommt man damit irgendwie klar, ohne Druck auf den Partner ausüben zu müssen. Wenn es jedoch um Bedürftigkeiten geht, dann kann man kaum liebevoll mit seinem Partner umgehen, wenn dieser keine Bereitschaft zeigt, den Erwartungen oder Forderungen zu entsprechen.
Beide Begriffe – Bedürfnis und Bedürftigkeit – klingen ähnlich, aber sie lösen im Gegenüber ein völlig anderes Gefühl aus. Wir spüren, ob uns jemand auf Augenhöhe begegnet oder sich klein zeigt. Deshalb kommt es auch nicht zu einer wahrhaften und freiwilligen Erfüllung, denn in einer erfüllenden Partnerschaft möchte man dem Partner nicht mit Minderwert oder Überlegenheit ins Auge blicken.
Es ist übrigens keineswegs so, dass es nur die Männer sind, die Sex „brauchen“, sondern die Frauen sind auch hier auf der Überholspur. Daher steigen immer mehr Männer aus der gemeinsamen Sexualität aus.
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Ich hab es dem anderen zuliebe gemacht
Der Satz klingt schrecklich, kommt aber in der Praxis verhältnismäßig oft vor – der sogenannte Gnadensex. Für Frauen ist es sicher einfacher als für Männer, Sex über sich ergehen zu lassen, da die Erregung der Frau weniger sichtbar sein muss. Vielleicht ist genau das der Grund, warum die Unlust der Männer so im Kommen ist;-). Es klappt dann halt einfach nicht mehr bei ihm. Und nicht wenig Frauen werden dann regelrecht aggressiv und werten ihre Männer sogar extrem ab. Dass das ein Teufelskreis ist, dürfte klar sein.
Es ist in vielen Beziehungen, manchmal über Jahre an der Tagesordnung, Sexualität aus Mitleid, Stressvermeidung, falschen Glaubenssätzen heraus, aber auch schlichtweg aus Berechnung zu erdulden. In den allermeisten Fällen sollen durch vorgespielte Lust Konflikte vermieden und Scheinharmonie aufrecht erhalten werden. Es kann sein, dass der „Schauspieler“ schon entsprechende Erfahrungen in seiner Ursprungsfamilie gewonnen hat und dadurch zu hoher Anpassungsleistung fähig ist. Vielleicht hat er in einer früheren oder aktuellen Beziehung am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn der Partner tagelang beleidigt war oder nicht mehr mit ihm gesprochen hat oder sogar mit Liebesentzug oder gänzlicher Ignoranz „gearbeitet“ hat. Die daraus resultierende Angst vor Wiederholung dieser erlittenen Schmerzen erklärt, warum „Fake-Lust“ durchaus einen Nutzen haben kann. Aber mit Begehren hat das gar nichts zu tun.
Keine Lust oder innerer Widerstand?
Wenn ein Partner Annäherungsversuche startet, wünscht er sich, dass diese auf fruchtbaren Boden stoßen. Wenn der andere nicht so reagiert wie erhofft, entsteht in der Regel (eigene) Instabilität, da das Verhalten des Partners häufig mit Ablehnung bzw. Zurückweisung der eigenen Person interpretiert wird. Das Wissen darüber, dass man immer eine freie Wahl hat, ob und wie etwas interpretiert wird, scheint in diesen Momenten nicht zugänglich. Möglicherweise ist der tatsächliche Grund viel simpler als unsere kühnsten Vermutungen und der Partner hat einfach nur keine Lust! Nicht mehr und nicht weniger.
In der Regel geschieht bei Paaren folgendes: Die selbst hinein interpretierte Ablehnung der eigenen Person benötigt schnell wieder eigene Stabilität und da destabilisiert man am besten den anderen. Das ist quasi eine Erfolgsgarantie, wenn auch eine ziemlich fragwürdige. Der Lustlose kriegt alles Mögliche zugeschoben, von Schuld über Verantwortung, dass der Abend anders verlaufen ist als man erhoffte.
Und weil Druck immer Gegendruck erzeugt und weil es aus dem Wald immer so herausschallt, wie man hineinruft und weil man auch immer das erntet, was man gesät hat, geht diese Rechnung niemals auf. Jedenfalls nicht, wenn es darum geht, eine liebevolle Beziehung inklusive Sexualität zu erfahren.
So manch eine Beziehung speist sich aber gerade daraus, dass unablässig gegeneinander um den Gewinn und Verlust von Augenhöhe gekämpft wird. Machtkämpfe und Rechthaberei sind sinnlos und es steht außer Frage, das all diese Strafaktionen ausschließlich zur Wiederherstellung der eigenen Stabilität dienen. Es ist hilfreich, das zu wissen und vor allem zu begreifen.
Fazit
Brauchen und Missbrauchen liegen dicht beieinander. Wer braucht und nicht bekommt, übt mitunter solange Druck aus oder manipuliert sein Gegenüber, bis der Forderung stattgegeben wird oder einer von beiden den Kampf aufgibt. Kapitulation ist vieles, aber nicht sexy! Und Partner spüren sehr genau, wenn es dem anderen nicht um einen selbst geht, sondern nur die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Kein Mensch würde sich einem anderen dafür ehrlich hingeben!
Die Methoden, die Menschen verwenden, damit sie ihre eigenen Defizite nicht spüren müssen, sind diejenigen, die im bisherigen Leben dienlich waren und nicht reflektiert wurden. Es geht daher darum zu erkennen wie jemand agiert und diese destruktiven Muster und Verhaltensweisen aufzulösen.
In der partnerschaftlichen Sexualität liegt eine Riesenchance für Heilung!
Foto: © Privat (in einer Arztpraxis)